Aus der Biografie 2

2. Lawrence (Massachusetts), 25. Juni 1876: Robert Frosts Schwester Jeanie kommt zur Welt

Frosts Mutter flüchtete sich wegen der zunehmenden Trunk- und Spielsucht ihres Mannes immer mehr in die Religion der „Neuen Kirche“, die sich auf den schwedischen Mystiker Emanuel Swedenborg berief. Im Frühjahr 1876 war Belle Frost zum zweiten Mal schwanger und floh vor der immer wieder aufflammenden Gewalt ihres Mannes mit dem zweijährigen Robert quer durch den Kontinent zu ihren Schwiegereltern nach Lawrence, Massachusetts. Allerdings stieß sie bei ihnen auf wenig Verständnis. Die gediegenen, steifen Neuengländer hielten ihre Klagen für unglaubwürdig, machten ihr im Gegenteil Vorwürfe: Wenn ihr kluger Sohn, der Harvard mit Auszeichnung absolviert hatte, nun dabei war, zum Teufel zu gehen, konnte das nur Isabelles Schuld sein. In Lawrence kam Jeanie zur Welt, und sobald es ihr Zustand erlaubte, verließ die Mutter die Stadt wieder und suchte Zuflucht bei ihrer Freundin Sarah Newton, die bei ihrer Familie in Greenfield, Massachusetts, den Sommer verbrachte. Die Atmosphäre dort war fromm bis frömmlerisch, was Belles Wesensart und ihrer Situation sehr entgegenkam.

In Greenfield erreichten Belle zerknirschte Briefe ihres Mannes, in denen er sie um Verzeihung bat und Besserung gelobte. Bevor sie zu ihm zurückkehrte, fuhr sie aber mit den Kindern nach Columbus, Ohio, wo sie Verwandte besuchte und eine Schulfreundin wiedertraf. Sie blieb den Herbst über, und in dieser Zeit kamen weitere Briefe ihres Mannes an, die auch Andeutungen über seine ernsthaft angegriffene Gesundheit enthielten. Er hatte sich zur Teilnahme an einem mehrtägigen Laufwettbewerb hinreißen lassen, und sich dabei offenbar überfordert. Belle entschloss sich, zurückzufahren. Allerdings war sie sich unsicher, ob sie einen Haushalt mit zwei kleinen Kindern und einem schwierigen Ehemann bewältigen würde und bat ihre frühere Highschool-Freundin Blanche Rankin, sie zu begleiten. „Tante Blanche“, als die Robert Frost sie in Erinnerung behalten sollte, blieb mehrere Jahre lang bei der Familie und führte den Haushalt.

Als Belle in San Francisco eintraf, fand sie ihren Mann im Krankenhaus, es bestand Verdacht auf Schwindsucht (englisch: consumption, man nannte die Krankheit damals noch nicht Tuberkulose): Er hatte stark abgenommen und hustete Blut. Während er sich weigerte, den Ernst der Lage zu akzeptieren, vergrub sich Belle umso tiefer in die Religion. Frost sagte später, wie es die Art der Frauen in der Viktorianischen Zeit eben gewesen sei, habe seine Mutter ihre Ehe nie ernsthaft in Frage gestellt.

 

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