San Francisco, 5. Mai 1885: Tod des Vaters
Als Robert elf Jahre alt war, starb William Frost, der seiner Schwindsucht lange kein anderes Heilmittel als Whiskey – und Blut von frisch geschlachteten Rindern – entgegenzusetzen gewusst hatte, im Alter von 34 Jahren. Der von der Mutter sehr religiös erzogene Junge hätte sich trotz der regelmäßigen Prügel, die er vom Vater bezogen hatte, niemals erlaubt, Erleichterung darüber zu empfinden. Auch als Erwachsener erwähnte Frost den Tod seines Vaters nur selten: "Ich sprach auch Jahre nach seinem Tod nie über meinen Vater. Ich konnte es einfach nicht."Robert Frost hatte in seinem Vater auch ein Vorbild gesehen, dessen Langstreckenschwimmen und -gehen er nacheiferte. Die sportlichen Erfolge halfen dem Jungen, seine Schüchternheit zu überwinden, und die väterlichen Prügel waren zu jener Zeit ein allseits akzeptierter Teil der Erziehung. Andererseits sah er aber auch, wie die Mutter unter der Spiel- und Trinkfreude des Vaters litt, und sie mehr als einmal drauf und dran gewesen war, ihren Mann zu verlassen und die Kinder mitzunehmen. Als sie plötzlich Witwe war, war ein – wie Jay Parini es formuliert – "lebhaftes Kapitel" in ihrem Leben und dem der beiden Kinder zu Ende.
In Robert Frosts dichterischem Werk finden sich bis ins hohe Alter Spuren der Kinderjahre in San Francisco. In seiner letzten Gedichtsammlung, In the Clearing von 1962, ist ein Gedicht mit Bezug auf diese Zeit enthalten: Auspex, in dem eine Erinnerung an ein Erlebnis während eines Ausflugs in die Berge mit seinen Eltern den Anlass bildet: als er sich einmal von den Eltern abgesetzt und ein Stück alleine durch die Wildnis gestreift war, habe ein Adler ihn zu ergreifen versucht – jedenfalls erzählte er es so seinen Eltern. Elizabeth Sergeant berichtet, Frost sei sich auch später nicht sicher gewesen, ob dieses Ereignis tatsächlich so stattgefunden hätte. Jedenfalls schrieb Frost 1960 dieses Gedicht, in dem der Sprecher zwischen dem Schreck des Überfalls und der Enttäuschung schwankt, nicht von dem Adler für wert gehalten zu werden, ein Ganymed1 zu sein: … Not find a barkeep unto Jove in me? / I have remained resentful to this day / When any but myself presumed to say / That there was anything I couldn’t be.
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1 In der griechischen Mythologie ist Ganymed ein Knabe, in den sich Zeus aufgrund seiner Schönheit verliebte. Zeus verwandelte sich in einen Adler und entführte den Knaben, damit er auf dem Olymp als Mundschenk der Götter diene. Die Geschichte wird von Ovid in den Metamorphosen und von Virgil in der Aeneis erzählt.