Aus der Biografie 13

1895: Angst in der Nacht

Die Versöhnung mit Elinor gelang, wenn auch weder vollständig noch dauerhaft. Für den Sommer 1895 hatte sie den Plan gefasst,zusammen mit ihrer ältesten Schwester Leona (die, obwohl schwanger, gerade zum zweiten Mal ihren Ehemann verlassen hatte), den Sommer im Ossipee Mountain Park, New Hampshire, zu verbringen, nahe dem Lake Winnipesaukee, einer bereits seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts beliebten Freizeitregion. Leona, die Malerin war, sollte dort die Enkelkinder eines Industriellen porträtieren, der einst viel Geld in die touristische Entwicklung des Orts investiert hatte.
Robert, der nicht die ganze Zeit ohne Elinor sein wollte, bot an, die Schwestern zu begleiten und wenigstens einen Teil des Sommers an dem Ferienort mit ihnen zu verbringen. Es war sein erster Aufenthalt in diesem Teil von New Hampshire, und er war sofort vom Reiz der Gegend bezaubert. Er schaute sich nach einer Unterkunft um, auch ein Platz zum Zelten kam in Frage. Er erfuhr von einer kleinen, anderthalb Kilometer entfernten Ansiedlung von Hütten, einem ehemaligen Holzfällercamp, das von "harmlosen Outlaws" (Thompson) bewohnt wurde. Von einem dieser Bewohner konnte er eine Unterkunft mieten, eine etwas verloren wirkende ebenerdige Hütte mit einem schäbigen, verräucherten Innenraum, der als Küche, Wohn- und Schlafraum zugleich diente. Ein Schloss an der halb zerfallenen Tür gab es nicht. Robert, einigermaßen abenteuerlustig, ließ sich darauf ein, wenigstens für ein paar Tage. Die augenzwinkernd vereinbarte Miete bestand darin, den Apfelweinvorrat im Keller zu bewachen.
Robert, Elinor und Leona machten kleine Bergwanderungen, und so oft Leona mit dem Malen beschäftigt war, konnte das Paar seine Zweisamkeit genießen. Oft aber hatte Elinor mit den zu porträtierenden Kindern oder deren Eltern im Hotel zu tun, wohin Frost nie eingeladen wurde. Er gab zwei Jungen Nachhilfeunterricht, ansonsten hatte er jede Menge Zeit für sich selbst. Wenn er auf dem Weg ins Dorf zufällig Elinor traf, die manchmal Besorgungen für ihre Schwester machte, berührte ihn die besondere Qualität dieser entfremdeten und zugleich intimen Begegnungen. Jahre später, 1916 in der Gedichtsammlung Mountain Interval, veröffentlichte er mit Meeting and Passing ein Sonett, das versucht, diese seltsame Mischung aus Nähe und Distanz auszudrücken: … We met. But all / We did that day was mingle great and small / Footprints in summer dust as if we drew / The figure of our being less than two / But more than one as yet … H.A. Maxson weist in On the Sonnets of Robert Frost auf eine Art schlurfender Bewegung in dem Gedicht hin, die sich in der gegensätzlichen Richtung der beiden Figuren zeige, ihrem Zwiegespräch über ihr Leben "weniger als zwei, doch mehr als eins" und schließlich ihrer Unfähigkeit, Augenkontakt aufzunehmen. "Der gesellschaftliche Verkehr wird also im übertragenen Sinne so weit zum Geschlechtsverkehr geführt, wie es die Zeit und der Dichter zulassen", schreibt Maxson. Frost sei ein Dichter von großer Subtilität, eine Tatsache, die viele Jahre lang von den Kritikern übersehen und später von anderen ebenfalls jahrelang zurückgewiesen worden sei.
Frosts eigenartige Wohnstätte, mitten im Wald gelegen, verstärkte seine Angst vor Dunkelheit, die ihn seit seiner Kindheit quälte. Er hatte sich vorsichtshalber eine alte einschüssige Pistole und jede Menge Munition besorgt, und damit die ihm wenig vertrauenswürdig erscheinenden Bewohner der benachbarten Hütten auch erfuhren, dass er bewaffnet war, machte er Schießübungen. Eines Nachts ängstigte ihn ein gespenstisches Erlebnis zutiefst: Ein mehrmaliges Klopfen an der Tür veranlasste ihn, durch ein offenes Fenster aus dem Haus zu flüchten. Frost, der an Apfelweindiebe dachte, verbrachte den Rest der Nacht im Freien, lief dabei zum Hotel hinunter und wieder zurück. In der Morgendämmerung wagte er einen Blick in die Hütte und fand einen schnarchenden Mann auf dem Küchenboden liegen. Er stellte sich als einer der seltsamen, aber ungefährlichen Nachbarn heraus, der nur einen Platz gesucht hatte, wo er seinen Rausch ausschlafen konnte. Diese Begebenheit, die Frost noch jahrelang verfolgte, war unter anderem der Auslöser für das Gedicht The Lockless Door (1923 in New Hampshire veröffentlicht). In diesem Gedicht beschreibt er in knappen, jambischen Zeilen zunächst die Ausgangssituation, die recht genau dem tatsächlich erlebten nächtlichen Schrecken entspricht, am Ende aber wird die äußere Welt zum Versteck, das sich das sprechende Ich zum Ort seiner weiteren Entwicklung erwählt: … So at a knock / I emptied my cage / To hide in the world / And alter with age.

 

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