1900: Tod des Sohnes Elliott
Im Frühsommer brach großes Leid über die Familie herein. Der dreieinhalbjährige Elliott, der seinen Vater schon gelegentlich auf den täglichen Gängen zu den Hennen begleitete, erkrankte schwer. Die meiste Zeit war er in der Obhut von Frosts Mutter, die trotz ihrer schweren Erkrankung das Zusammensein mit ihrem Enkel genoss, sehr zu Elinors Erleichterung, die vollauf mit ihrem kleinen Mädchen beschäftigt war. Elliott litt plötzlich unter Bauchkrämpfen, Brechdurchfällen und beängstigend hohem Fieber in den Nächten. Dem Arzt, der Frosts Mutter regelmäßig besuchte, fiel der Zustand des Kleinen auf. Er gab dem Jungen homöopathische Pillen zur Regulierung der Verdauung, die jedoch keine Wirkung zeigten. Auch Elinors Mutter, die kürzlich zur Glaubensgemeinschaft der Christian Science übergetreten war, bestärkte ihre Tochter in der Haltung, Ärzte könnten dem Kind nicht helfen, man müsse stattdessen um Gottes Hilfe beten. Als es Elliott rapide schlechter ging, rief Frost schließlich seinen eigenen Arzt. Ungehalten, dass man ihn nicht früher gerufen hatte, machte dieser den Eltern heftige Vorwürfe. Seine Diagnose lautete Cholera infantum. Es sei viel zu spät, sagte er, er könne nichts mehr für das Kind tun, es werde den nächsten Tag nicht mehr erleben. Tatsächlich starb Elliott noch in dieser Nacht.Die Eltern versanken in einem Meer der Trauer, die sich gemäß ihren Temperamenten unterschiedlich zeigte. Robert klagte sich der Vernachlässigung seines Sohnes an, seine Schuld reiche an Mord heran. Aufgewühlt sagte er, Elliotts Tod sei Gottes gerechte Strafe dafür. Elinor verfiel in Schweigen und als sie es nach Tagen brach, war sie verwandelt. Sie warf ihrem Mann Gedankenlosigkeit und Selbstbezogenheit vor: Wie könne er nur glauben, dass die Strafe ihm gelte, wo doch das Leben dem Kind – und ihr – genommen worden sei. Wie könne er glauben, es gebe so etwas wie göttliche Gerechtigkeit oder einen Gott, der über die Menschen wache. Es gebe keinen Gott, sagte sie, es könne keinen Gott geben. Die Welt sei durch und durch böse, und sie hasse alles Leben, das noch übrig sei, ihr eigenes eingeschlossen.
Für den Augenblick war Frost geneigt ihr zuzustimmen. Es gibt ein Gedicht, das er bereits ein oder zwei Jahre zuvor begonnen hatte, es trägt den Titel Stars und spricht von den Sternen, die sich "zahllos über unserem aufgewühlten Schnee versammeln". Die Bitterkeit, die auch ihn befiel, gab ihm jetzt möglicherweise die Schlussverse ein: … And yet with neither love nor hate, / Those stars like some snow-white / Minerva's snow-white marble eyes / Without the gift of Sight. Gleichgültig blicken die Sterne wie mit Minervas marmornen Augen auf die Menschen, "ohne die Gabe des Sehens". "Snow-white" ist der englische Name Schneewittchens, und man kommt bei diesen Zeilen nicht umhin, es tot in seinem gläsernen Sarg liegen zu sehen. Vielleicht sah Frost auch die Beziehung zu Elinor schon als tot an. Das Gedicht erschien 1913 in A Boy’s Will, und in der Erstausgabe dieser Sammlung hatte er jedem Gedicht eine kurze Kommentarzeile mitgegeben. Zu Stars schrieb er in bitterer Erinnerung an Elinors Worte: There is no oversight of human affairs – Niemand wacht über der Menschen Angelegenheiten. Brian Hall, der 2008 einen Roman über das Leben von Robert Frost veröffentlichte, schreibt darin: "Elliott starb, und der Graben, den sein Tod zwischen seinen Eltern öffnete, schloss sich nie wieder."
Zwei von Frosts eindringlichsten Gedichten thematisieren den Tod eines Kindes: Erstens das dramatische Gedicht Home Burial von 1914. In diesem Dialog zwischen Eltern, die ein Kind verloren haben, spricht die Mutter von der Einsamkeit des Sterbenden wie auch der des Trauernden: … from the time when one is sick to death: / One is alone, and he dies more alone. / Friends make pretense of following to the grave, / But before one is in it, their minds are turned / And making the best of their way back to life / And living people, and things they understand. Dann spricht sie Elinors Satz: But the world’s evil, und fährt fort: I won't have grief so / If I can change it. Oh, I won't. I won't! Dieses einhundertsechzehn Verse umfassende Gedicht habe er in zwei Stunden heruntergeschrieben, nachdem es jahrelang in ihm geschwelt hätte, erzählte Frost später, und so, wie er es hingeschrieben habe, so sei es gedruckt worden. Das zweite Gedicht ist "Out, Out―" von 1916, eine Anklage der Kinderarbeit. Ein Junge verletzt sich tödlich an einer Kreissäge, und auch hier geht die Welt sprachlos darüber hinweg: … And they, since they / Were not the one dead, turned to their affairs. So herzlos dies auch für manche klingen möge, schreibt Parini, so weise Frost doch nur auf den Weg hin, den manche nähmen, um mit ihrer Trauer fertig zu werden.
Aus großer zeitlicher Ferne nimmt ein weiteres Werk Frosts Bezug auf den Tod Elliotts: 1947, also beinahe ein halbes Jahrhundert später, erscheint A Masque of Mercy, eines von zwei dramatischen Dichtungen für das Theater. Eine der Figuren, der biblische Jonas, spricht den Satz: She’s had some loss she can’t accept from God. Parini deutet dies so, dass Frost in einem gewissen Sinn immer noch vom Tod seines Kindes "besessen" war, oder ihn zumindest als Quelle eines Schmerzes erlebt hat, der in poetische Sprache verwandelt werden kann. "Der Dichter reibt seinen Finger an alten Wunden, damit sie brennen", sagte Frost 1958 vor Zuhörern an der Bread Loaf School of English in Ripton, Vermont, an der Frost von 1921 bis 1962 regelmäßig Kurse gab. Man denkt an Joseph Beuys und dessen Rauminstallation "Zeige deine Wunde" von 1976, die ebenfalls auffordert: was geheilt werden soll, muss offenbart werden.