1899: Der Dichter als Geflügelzüchter
Frost, der immer wieder unter Erschöpfungszuständen litt, bekam von seinem Arzt den Rat, er solle seine sitzende Lebensweise aufgeben, sie verschlimmere die Beschwerden nur. Er empfahl ihm landwirtschaftliche Betätigung, diese sei für jemanden mit seinem Temperament genau das Richtige. In Erinnerung an den Tod seines Vaters sorgte sich Frost ernsthaft um seine Gesundheit. Da er fürchtete, die Schwindsucht könnte auch ihn befallen, griff er den Vorschlag, sein Leben zu ändern, gerne auf. Seit seiner Kinderzeit in San Francisco, wo er im Hinterhof einige Küken aufgezogen hatte, reizte ihn die Idee, einen Geflügelhof zu betreiben. Dies wollte er nun in die Tat umsetzen. Er machte die Bekanntschaft eines Tierarztes, eines Franko-Kanadiers namens Charlemagne Bricault, der nahe Lawrence eine Brüterei betrieb. Bricault half ihm bei der Suche nach einem geeigneten Ort, und man fand im nahegelegenen Methuen eine kleine Farm, Powder House Hill, die einer älteren alleinstehenden Frau, Mary Mitchell, gehörte. Diese war bereit, einen Teil des Wohnhauses an die Frosts zu vermieten, blieb selbst aber auch dort wohnen. Um den Betrieb aufzubauen, wandte sich Frost – wieder einmal – an seinen Großvater um ein Darlehen. Zwei Monate nach der Geburt der Tochter Lesley zog die Familie im Juni 1899 aufs Land.Frost ging sofort ans Werk und baute Unterstände für die Brutapparate. Bricault konnte ihm für den Anfang 200 Eier abgeben und zeigte ihm, wie er mit den Apparaten umgehen und die Eier regelmäßig wenden musste. Er versprach, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Nebenher blieb Frost genügend Zeit, in der Umgebung zu wandern und die Pflanzenwelt zu studieren. Besonders Orchideen fanden sein Interesse, bald fühlte er, wie gut ihm dieses neue Leben tat, und er hoffte, die Schwächezustände überwinden zu können.
Während Elinor der Idee eines Farmbetriebs zuerst skeptisch gegenüber gestanden hatte, fühlte sie sich, obwohl studiert und aus einer gehobenen Familie, bald als Frau eines Geflügelzüchters wohl: In der Abgeschiedenheit ihres Bauernhofs konnte sie sich der Familie widmen, konnte lesen und neuen Gedichten ihres Mannes zuhören. Dass aus ihm nie ein erfolgreicher Landwirt werden würde, war ihr klar, der Farmbetrieb erforderte regelmäßige Arbeit und Disziplin. Aber Robert würde sich am Landleben freuen, konnte nach seinem eigenen Zeitplan leben, durch Feld und Wald wandern, Blumen sammeln und Zeit für seine Gedichte finden. Elinor war sicher, dass dieses Leben für sie beide so am besten wäre.
Da Frost zwei Jahre zuvor nach Harvard gegangen war und seiner Mutter nicht mehr in ihrer Schule beistehen konnte, war sie allein den Anforderungen nicht mehr gewachsen. Die Anmeldungen gingen stark zurück, und die Schule musste in kleinere Räume umziehen, ein Jahr später war ein weiterer Umzug nötig. 1899 erkrankte die Mutter schwer und musste das Schulprojekt aufgeben. Sehr bald wurde bei ihr Krebs diagnostiziert, in einem kaum noch zu heilenden Stadium. Sie zog zu Robert und Elinor nach Powder House Hill und zeigte dort großes Interesse an den Aktivitäten ihres Sohnes als Geflügelzüchter, weil sie sah, dass er ein Leben führte, das ihm mit seinen festen Rhythmen gut zu tun schien. Mit derselben ruhigen Gelassenheit und demselben Mut, die sie die ganzen Jahre seit dem Tod ihres Mannes an den Tag gelegt hatte, habe sie ihr Schicksal akzeptiert, schreibt Thompson.
Im Frühsommer schlüpften die Hennen und im Herbst begannen die ersten von ihnen Eier zu legen. Wie vereinbart, kaufte Bricault sämtliche Eier auf und kümmerte sich um die zu Brathähnchen herangewachsenen männlichen Tiere, so dass Frost sich nicht mit dem Schlachten befassen musste.1 Lieber machte er die Ställe winterfest. Im Frühjahr 1900 war er soweit, eine weitere Partie Bruteier zu übernehmen. Bricault und er arbeiteten partnerschaftlich zusammen, und es besserten sich sowohl Frosts Gesundheit als auch seine finanzielle Lage. _________________________
1 Zu jener Zeit gab es noch keine getrennten Zuchtlinien für weibliche und männliche Tiere. Die Aufspaltung führte später zu der beklagenswerten Konsequenz des Schredderns der männlichen Küken bei der Legehennenzucht.