1909/1910: Sport und Theater
Eine lang andauernde Freundschaft begann an der Pinkerton Academy mit John Bartlett, einem seiner Schüler, Klassensprecher, Herausgeber der Schülerzeitung und nicht zuletzt Kapitän des Football-Teams. Sport – und besonders Football – nahm an amerikanischen Highschools immer schon einen wichtigen Platz ein, und da es Frost seit Kindertagen gelungen war, sein unterentwickeltes Selbstbewusstsein durch sportliche Erfolge zu heben, überrascht es nicht, dass er sich auch intensiv um die Football-Mannschaft gekümmert hat – auch als Gelegenheitsdichter. Als die Schule etwa gegen den stets erfolgreicheren Erzrivalen Sanborn Seminary aus Kingston nach großer gemeinsamer Anstrengung haushoch gewonnen hatte, wurde das groß mit einem Dinner gefeiert, und Frost steuerte zündende Verse bei: … In the days of Captain John / Sanborn Sem had nothing on / Pinkerton! Pinkerton! … Nach eigener Aussage verfasste er solche „Jingles“ im Unterricht, während die Klasse mit Schreibarbeit beschäftigt war, damit sie keinen Unfug machte. Frost habe nie gezögert, schreibt Thompson, „verspielte Reimereien“ zum persönlichen Spaß der Freunde anzufertigen.Diese Art, sportliche Erfolge zu feiern, war neu an der Schule, und auch dies gehörte zu den zahlreichen Innovationen, die durch Frost an der Pinkerton Academy entstanden. Als Freund jeglicher Art von Wettkampf konnte Frost die Schulleitung auch davon überzeugen, dass man Schreibwettbewerbe mit Lesungen der Sieger ausrichten sollte und man mehr Schüler für die Debattierclubs gewinnen müsse. Die jüngeren Teilnehmer präparierte Frost dabei wie ein Football-Trainer mit dem unbedingten Willen zu siegen. Allerdings machte er sich auch hier nicht nur Freunde, da er unter anderem den Schülern riet, wenn sie eine gute Idee hätten, sollten sie diese bekannten Persönlichkeiten zuschreiben, Daniel Webster etwa oder George Washington. So würden die Juroren Gedanken überzeugender finden. Ähnliche Methoden wandte er an um sicherzustellen, dass seine Lieblingsschüler – wie Bartlett – als Sieger aus den Wettbewerben hervorgingen. Immer und immer wieder habe er an ihren Arbeiten gefeilt, „bis der ganze Schmarrn der Jungs in langen Folgen von Überarbeitungen im Kern durch spannend geschriebenen Ersatz ausgetauscht worden war“, erinnerte sich Frosts Freund Sidney Cox.
Frosts Ansehen als Lehrer wuchs weiter, als er in jenem Jahr 1909/1910 entscheidend dazu beitrug, dass an der Schule fünf Theaterstücke aus verschiedenen Epochen der englischen Literatur aufgeführt wurden. Das Programm reichte von Marlowes Doctor Faustus aus dem späten 16. Jahrhundert – in dem John Bartlett den Mephistopheles „mit blutrünstiger Eindringlichkeit“ (Thompson) spielte – bis zu zwei Stücken William Butler Yeats, dessen zeitgenössische Werke aufzuführen zu jener Zeit ein durchaus gewagtes Unternehmen darstellte, insbesondere für einen Junglehrer. Frost wandte sehr viel Zeit und Energie für diese Theateraufführungen auf, indem er die Stücke bearbeitete, um sie auf das Wesentliche zu reduzieren. Doch sah er in dieser Arbeit auch eine Übung für die Entwicklung einer eigenen Poetik.
Gorham Munson, Frosts erster Biograf, zitiert ein längeres Schreiben von John Bartlett, in dem dieser ausführlich Robert Frosts Rolle als Lehrer an der Pinkerton Academy würdigt. Zu den Theateraufführungen von 1909/10 schreibt Bartlett, Frost habe mit diesen Produktionen in einer Weise Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass niemand mehr an seiner Seriosität und Originalität zweifeln konnte, und keiner habe annähernd so viel Energie gehabt wie er. Der größte Unterschied zu den anderen Lehrern sei wohl gewesen, dass Frost ein weitaus größeres Interesse am einzelnen Schüler gehabt habe. Er habe Fragen gestellt oder knappe Bemerkungen gemacht auf eine Art und Weise, die ihn dem betreffenden Jungen nähergebracht habe, und das sei nicht aus einer pädagogischen Professionalität heraus geschehen, sondern aus seinem innersten Wunsch, nahe an seine Schüler heranzukommen und mehr über sie zu erfahren.
Frosts Plan war, im folgenden Schuljahr mit Schülern weitere Theaterstücke aufzuführen. Er bearbeitete Ben Jonsons The Silent Woman wieder in der Art, dass er das meiste strich und nur die besten Szenen für die Aufführung vorsah. Als er sein Manuskript zum Abtippen ins Schulsekretariat brachte, erfuhr er, dass eine Kollegin gegen sein Projekt arbeitete. Sie fände sein Stück zu schwer für die Schüler und würde mit einer Gruppe ein leichteres, unterhaltendes Stück einüben. Frost reagierte mit einem Wutanfall, zerriss auf der Stelle sein Manuskript, warf es in den nächsten Papierkorb und verkündete das sofortige Ende seiner Theaterproduktionen an der Schule.
Trotz solcher seinem Temperament geschuldeten Ausbrüche verbreitete sich Frosts Ruf als Lehrer mit außergewöhnlichen Methoden und zog Aufmerksamkeit im gesamten Staat New Hampshire auf sich. Im Januar und Februar 1910 hielt er auf Einladung Vorträge, in denen er von der Beziehung zwischen dem Literaturunterricht und dem Vermitteln der Fähigkeit, gut zu schreiben, sprach. Durch diese Vorträge gewann er an Selbstvertrauen, und allmählich fiel ihm auch das freie Sprechen vor Publikum leichter. Zwar hatte er im privaten Kreis nie Probleme gehabt, seine Ansichten mit Nachdruck zu vertreten, jetzt aber gelang ihm dies auch in der Öffentlichkeit.