1912: Übersiedlung nach England
Frost war in eine gleichsam literarische Umgebung geraten, wie sich aus dem Brief erkennen lässt, den er keine zwei Wochen nach der Ankunft in England an Susan Hayes Ward schrieb: „Wir sind hier zwischen hohen Hecken aus Lorbeer und Rotem Hartriegel, ein oder zwei Meilen von wo Milton das Paradise Lost vollendete auf der einen Seite und ein oder zwei Meilen von wo Grey begraben liegt auf der anderen, und nur ein paar Ecken entfernt von dem Haus, in dem Chesterton es mit der Wahrheit versucht, um zu sehen, ob sie sich nicht verkehrt herum als genau so wahr erweist wie richtig herum.“ Parini ergänzt diese Liste noch um den irisch-britischen Schriftsteller Edmund Burke, der ebenfalls in der Nähe begraben war, und den Dichter und Politiker Edmund Waller, der einst in Beaconsfield gelebt hatte. Ein inspirierendes Umfeld für einen ambitionierten Dichter.Die Frage tauchte auf, ob die Kinder in die Schule gehen oder besser zuhause unterrichtet werden sollten. Die Verhältnisse in den lokalen Schulen missfielen Frost stark. In einem Brief an einen Bekannten, der für das staatliche Schulwesen in New Hampshire arbeitete, beschrieb er, was er bei einem Besuch gesehen hatte1. Man beschloss, dass Carol und Marjorie wieder zuhause lernen sollten, während Lesley und Irma in einer privaten Mädchenschule angemeldet wurden. Wie schon früher, lastete die Aufgabe des häuslichen Unterrichtens auf Elinors Schultern, während Frost bis spät in die Nacht las und schrieb und erst spät am Morgen aufstand.
Das erste Projekt sollte ein Roman werden. Frost entwarf eine Handlung, die einen Generationenkonflikt zwischen zwei Bauern aus New Hampshire thematisieren sollte, einem jungen mit höherer Bildung und einem älteren, der dem Bücherwissen skeptisch gegenüber stand. Bald fand er, dass er die Geschichte besser als Theaterstück konzipieren sollte, vielleicht sogar in Gedichtform. Aus dem Entwurf entwickelte sich das erst 1947 in der Sammlung Steeple Bush veröffentlichte Gedicht From Plane To Plane. Einen ähnlichen Konflikt hatte Frost schon in dem Blankverstext The Death of the Hired Man thematisiert, den er in Derry verfasst hatte, aber erst 1914 in North of Boston veröffentlichen sollte. Statt des Romans schrieb er nun ein Gedicht, das seine ersten Eindrücke, Beobachtungen und Einsichten, die ihm die neue Umgebung schenkte, in Reime fasste. Das Gedicht, betitelt In England, sandte er an Weihnachten 1912 an Sidney Cox, nahm es aber nie in eine der Gedichtsammlungen auf. In leichtem, humorvollem Ton parodiert es das englische Wetter: Alone in rain I sat today / On top of a gate beside the way. / And a bird came near with muted bill, / And a watery breeze kept blowing chill / From over the hill behind me … _________________________
1 „Beaconsfield […] hat weder für Erwachsene noch für Kinder eine Bibliothek. Umso mehr ist eine Arbeitsbücherei in der Schule nötig. Was man mir zeigte, fand ich interessant, ich erfuhr ihre Geschichte. Lord Burnham, der Förderer der Schule, hält sie durch gelegentliche Geschenke von Büchern auf dem Laufenden, die ihm für seine Zeitung als Rezensionsexemplare zugesandt werden. Also das, was Lord Burnham und keiner seiner Angestellten haben will – Abfälle. Es gibt vielleicht 200 Bände im Ganzen, absolut nichts Literarisches oder Pädagogisches, tot wie so viele Predigten des achtzehnten Jahrhunderts. So viel zur Ausstattung (…) Ich sollte Ihnen noch von den Kindern erzählen: Bedenkt man, woher sie kommen, waren sie in ganz gutem Zustand. Man müsste in Amerika schon in die Slums der Städte gehen, um ähnliche Gesichter und Gestalten zu finden. Ich habe keine hellen, leuchtenden Augen gesehen, nach denen ich in den Dörfern Neuenglands Ausschau halten sollte, wo Sie und ich aufgewachsen sind. Sie waren hinlänglich sauber, die Schule achtet darauf. Aber manche von ihnen waren erbarmungswürdige kleine Kinder. Mr. Baker ließ sie für mich aufstehen, damit ich sie wie Sklaven auf dem Markt begutachten konnte–Fälle von Missbildung und Unterernährung. Zu viele im Verhältnis, dachte ich. Man muss aber bedenken, dass hier niemand seine Kinder in staatliche Schulen schickt, wenn er die Möglichkeit hat, sie woanders hin zu geben.“ (The Letters of Robert Frost, vol.1, S. 87 f.)