Aus der Biografie 24

1912/13: Der erste Gedichtband erscheint in London bei David Nutt & Co.


Frost erreichte ein Brief mit der handgeschriebenen und schwer zu entziffernden Nachricht von Mrs. Nutt, dass sie gewillt sei, die Gedichte zu verlegen. Frosts Enkelin Lesley Lee Francis zitiert in ihrem Buch The Frost Family’s Adventure in Poetry die Erinnerungen ihrer Mutter Lesley an den Moment, als die Nachricht von der Annahme des Buches eintraf. „Das war großartig. Wir freuten uns, weil sich unsere Eltern freuten. Wir konnten es nicht verstehen, weil wir keine Ahnung hatten, wie viel Entschlossenheit, wie viel Hoffnung, wie viel Geduld in dieses erste Buch geflossen waren; was für einen Höhepunkt, was für einen Anfang bedeutete diese endlich eintreffende Anerkennung.“ 1915 bekannte Frost in einem Interview, nach all den jahrelangen Versuchen sei „der Tag, an dem meine Gedichte in England angenommen wurden, einer der glücklichsten Tage meines Lebens“ gewesen.

Mrs. Nutt bot Frost einen Vertrag auf Basis eines Honorars an, dessen Höhe sie aber noch nicht festlegen könne, da sie erst noch über die Ausstattung des Buchs nachdenken wolle. Zwei Wochen später bat sie Frost schriftlich, sie in ihrem Büro aufzusuchen, um die Einzelheiten des Vertrags zu besprechen. Ihr Vorschlag: das Honorar sollte zwölf Prozent des Verkaufspreises betragen, allerdings erst ab einer verkauften Auflage von 250 Stück. Für den Anfang sollten tausend Exemplare gedruckt werden. Es war ein den üblichen Gepflogenheiten durchaus entsprechendes Angebot. Was Frost überraschte, war, dass Mrs. Nutt eine Option auf seine nächsten vier Bücher haben wollte, gleich ob Gedichte oder Prosatexte.

Zuhause brütete Frost über dem Vertrag. Nun war es an ihm, sich Zeit zu lassen, denn er hegte einerseits den Verdacht, die Bedingungen seien stark zu seinen Ungunsten formuliert, andererseits wollte er aber die Chance, auf die er so lange gewartet hatte, nicht verlieren. In dieser Situation erreichte ihn die Nachricht, dass ein Freund und Verleger in den Vereinigten Staaten, Thomas Bird Mosher, gern in seiner Lyrikreihe ein Buch mit Frosts Gedichten veröffentlichen würde. Dies war nun eine echte Zwickmühle, in die er geraten war, und er empfand das auch so, wie aus dem Antwortbrief, den er Mosher am 19. November 1912 schrieb, hervorgeht: „Warum hast Du Dich nicht zwei Wochen eher gemeldet und mich vor dieser ganzen Verwirrung bewahrt? Es sieht so aus, als schuldetest Du mir für Dein Schweigen so etwas wie einen guten Rat. Vielleicht kann ich meine Unterschrift noch so lange hinausschieben, bis ich von Dir eine Antwort habe. War es ein ernster Fehler, zu David Nutt zu gehen?“ Am 16. Dezember unterschrieb Frost den Vertrag bei David Nutt.

Die Anerkennung, die ihm endlich durch die anstehende Veröffentlichung erwiesen wurde, löste in Frost nun einen wahren Schreibrausch aus. Er habe sich, sagte er später, gefühlt wie ein Pferd, das mit den Hufen gescharrt habe und plötzlich losgelassen worden sei. Walsh schreibt, Robert Frost sei in diesem Herbst 1912 in eine ununterbrochene Schaffensperiode eingetreten, für die es in der englischen oder amerikanischen Literatur kaum Parallelen gebe. Bis zum späten Frühjahr habe er mindestens ein Dutzend relativ langer Gedichte fertiggestellt, alle mit bemerkenswert originellem Zug, und beinahe alle hätten seither einen Ehrenplatz in der amerikanischen sowie der Weltliteratur eingenommen. In der Tat sollten sich die neuen Gedichte – aus denen Frosts zweites Buch entstehen sollte – radikal von denen unterscheiden, die er bisher geschrieben und im Herbst 1912 dem Verlag David Nutt angeboten hatte.

In Frosts erster Gedichtsammlung, A Boy's Will, ein Narrativ zu finden, schreibt Parini, sei schwierig. Er benennt dann aber doch ein von Gedicht zu Gedicht stillschweigend sich entwickelndes Motiv: die entschiedene Weigerung, die Kontrolle über sich selbst abzugeben. Oft wendeten sich die Gedichte ins Innere, gespiegelt in der Einsamkeit in Wald und Flur, die Himmel hätten wenig anzubieten (Minerva’s snow-white marble eyes / Without the gift of sight1). Den dramatischsten Moment der ganzen Reihe sieht Parini in Storm Fear, wo Dichter und Familie sich den Naturgewalten ausgesetzt sehen. Selten wird die Natur freundlich gezeichnet, meist stellt sie eine existenzielle Bedrohung dar.

Auf die Serie bewegter Gedichte folgen solche, die milde viktorianisch klingen, sie sind durch eine völlig andere Stimmung charakterisiert, wie etwa das Gebet A Prayer in Spring oder Flower-Gathering. Einen Wendepunkt, meint Parini, könne man in The Vantage Point sehen. Das Sonett spricht von der Rückkehr zu den Menschen, „der Bäume müde“, doch ist es alles andere als gesellig: aus der Ferne schaut das lyrische Ich auf die Menschen (und ihre Gräber) und genießt seine unmittelbare Umgebung, genießt die Natur und seine Isolation. Der Traum des Entfliehenden (aus Into My Own) erfüllt sich hier durch gewonnene Stärke, wie sie sich im Zoom der letzten Zeilen spiegelt: … My breathing shakes the bluet like a breeze, / I smell the earth, I smell the bruisèd plant, / I look into the crater of the ant. Es folgt das „prachtvolle“ (Parini) Mowing, dem auch Frost selbst stets eine herausragende Stellung in der Sammlung zuerkannte. Es ist ein frühes und hervorragendes Beispiel für seine Vorstellung vom sound of sense: Das einzige Geräusch weit und breit verursacht die Sense, sie flüstert in s-, w- und wh-Lauten, was sie aber flüstert, versteht der Mäher nicht. Newton Smith schreibt in The Robert Frost Encyclopedia, Frost äußere hier seinen Glauben, dass die Menschen durch eine unüberbrückbare Kluft von der Natur getrennt seien. Was wir je von ihr bekämen, seien Andeutungen und Geflüster, deren Interpretation unsere Sache sei. Und die letzten Zeilen (The fact is the sweetest dream that labor knows. / My long scythe whispered and left the hay to make) legten nahe, dass Frost hier das Verfassen von Gedichten mit der Heuwerbung vergleicht: Wie der Mäher Reihen von geschnittenem Gras produziert, so stelle der Dichter Reihen von Wörtern her, die Zeilen eines Gedichts. Mowing kommt ohne Metaphern aus, durch poetische oder gedankliche Höhenflüge würde es nur geschwächt werden, so Smith, aber das Gedicht als Ganzes erlege dem Leser auf, es als Gleichnis für die menschliche Arbeit zu nehmen. Frost präsentiert uns den Klang der Zeilen, und wie der Mäher das Heumachen anderen überlässt, überlässt der Dichter die Vollendung des Gedichts uns.

_________________________

1 aus Stars


 


 

← vorherige Episode · Übersicht · nächste Episode →